Leserbrief Windenergie von Anita Arndt
Demokratie ist kein Wunschkonzert – aber ein Mitmachmodell
Die Ratssitzung der Samtgemeinde Elbmarsch am 26. Juni hat einmal mehr gezeigt, wie emotional kommunale Themen verhandelt werden – vor allem, wenn es um Windenergie geht. Dass sich viele Bürgerinnen und Bürger zu Beginn der Sitzung eingefunden haben, um ihre Positionen zu vertreten, begrüße ich ausdrücklich. Beteiligung ist wichtig. Noch wichtiger wäre es, wenn sie nicht nach einem Tagesordnungspunkt endet.
Denn so groß das Interesse am Thema Windkraft war – so leer war der Saal danach. Dabei leben in unserer Samtgemeinde rund 14.000 Menschen, anwesend waren rund 150 – das sind etwa 1 Prozent. Und von diesen 1 Prozent blieben nach der eigenen Betroffenheit kaum noch Zuhörer übrig. Gleichzeitig fehlte eine entscheidende Perspektive: Die derjenigen, die sich grundsätzlich für Windenergie in der Elbmarsch aussprechen. Eine ausgewogene Debatte braucht alle Stimmen – nicht nur die lautesten. Wer eine Bürgerbefragung fordert, muss auch bereit sein, einen offenen und ehrlichen Dialog zu führen. Dazu gehört: Informationen aufnehmen, Argumente aushalten, Positionen hinterfragen.
Ich persönlich halte die Elbmarsch nicht für eine geeignete Windvorrangfläche. Wir befinden uns hier in einem ökologisch hochsensiblen Naturraum: Eine Auenlandschaft mit natürlichem Hochwasserschutz, Lebensraum für geschützte Tierarten wie Weißstorch, Rotmilan, Seeadler und Rauchschwalbe – zugleich ein Naherholungsgebiet für Einheimische und Touristen sowie eine der wertvollsten Agrarregionen unserer Gegend. Die geplanten Windkraftanlagen sollen bis zu 270 Meter hoch oder sogar noch höher werden – das übersteigt die Höhe des Kölner Doms um rund 100 Meter. In einer flachen, offenen Kulturlandschaft wie der Elbmarsch bedeutet das eine massive, sichtbare Veränderung des Landschaftsbilds über viele Kilometer hinweg.
Hinzu kommen ernstzunehmende ökologische und infrastrukturelle Fragen:
Es gibt bislang keine flächendeckende Lösung zur Entsorgung von Rotorblättern, die aus schwer recycelbaren Verbundstoffen bestehen.
Der Flächenbedarf ist enorm – Zufahrtswege, Kranstellflächen, Fundamente und Wartungszonen bedeuten eine dauerhafte Versiegelung wertvollen Bodens.
Der Bau und spätere Rückbau solcher Anlagen ist technisch aufwendig, kostenintensiv und greift langfristig in den Boden- und Wasserhaushalt ein.
Nicht zuletzt braucht es einen erheblichen Ausbau des Stromnetzes sowie Speicherlösungen, um die volatilen Einspeisungen aus Windkraftanlagen überhaupt sinnvoll ins Energiesystem integrieren zu können – auch das verursacht Kosten.
All diese Faktoren müssen ehrlich mitgedacht werden. Windenergie ist kein pauschales Gegenmodell zu fossilen Energien, sondern Teil eines komplexen Systems. Und ein Standort wie die Elbmarsch eignet sich dafür aus meiner Sicht schlicht nicht – ökologisch, landschaftlich, aber auch mit Blick auf das Verhältnis zwischen Ertrag und Eingriff. Trotzdem ist für mich klar: Windenergie ist und bleibt – systemisch eingebunden – eine wichtige Säule für eine klimafreundliche Energiezukunft. Sie ist wirtschaftlich sinnvoller als fossile Energieträger und sauberer als viele Alternativen. Doch sie darf nicht um jeden Preis und nicht an jedem Ort realisiert werden.
Was mir persönlich große Sorge bereitet, ist die zunehmende Schärfe und Unversöhnlichkeit in der Debatte. In der Sitzung fielen Aussagen wie: „Wer sich für Windkraft ausspricht, wird nicht mehr gewählt.“ Solche Drohungen gegen einzelne Personen oder Parteien zeigen, wie wenig Verständnis manche für ehrenamtliche Kommunalpolitik haben. Noch problematischer ist die Eskalation der Diskussionen auf Social Media, wo oft unter die Gürtellinie gegangen wird und Sachlichkeit verloren geht. Das verzerrt das Bild von Beteiligten und erschwert es, eine faktenbasierte und respektvolle Auseinandersetzung zu führen. Jede und jeder hat eine eigene Wahrnehmung, die naturgemäß subjektiv ist. Umso wichtiger ist es, dass wir den offenen Dialog suchen, uns ernsthaft austauschen und auch bereit sind, unsere eigene Meinung zu hinterfragen. Nur so kann eine lebendige Demokratie funktionieren – fernab von populistischen Parolen und persönlichen Angriffen.
Sicher: Auch bei uns gibt es Politikerinnen und Politiker, die sich gerne inszenieren oder eigene Interessen verfolgen – das will ich gar nicht bestreiten. Aber der allergrößte Teil von uns engagiert sich ehrenamtlich, mit hohem persönlichem Einsatz, mit Verantwortung – nicht für Macht oder Karriere, sondern weil wir unsere Heimat mitgestalten wollen. Und das in aller Regel neben Familie, Beruf und Alltag. Dieses Ehrenamt ist oft undankbar. Kaum eine andere ehrenamtliche Tätigkeit zieht so viel Misstrauen, Frust oder sogar offenen Hass auf sich wie das politische Engagement. Sicher, manches davon ist nachvollziehbar – aus Enttäuschung, aus Wut, aus Unverständnis heraus. Aber dennoch: Pauschale Aussagen, die uns Politikerinnen und Politiker im Allgemeinen als „korrupt“, „lügnerisch“, „egoistisch“ oder „inkompetent“ darstellen, sind nicht nur falsch und verletzend, sondern auch gefährlich. Sie schüren Misstrauen, verhindern eine sachliche Diskussion und machen jede differenzierte Auseinandersetzung unmöglich.
Wenn man mit einer Entscheidung oder mit dem Verhalten einer Person nicht einverstanden ist, darf – ja, soll – das kritisiert werden. Aber bitte sachlich, diplomatisch und konkret. Das ist Demokratie. Alles andere ist Stimmungsmache – und sie macht es fast unmöglich, neue Menschen für die politische Mitgestaltung vor Ort zu gewinnen. Darüber hinaus fehlt häufig das nötige Verständnis dafür, wie politische Entscheidungen zustande kommen und welche Komplexität dahintersteckt.
Gerade heute ist es schwer, dieses Ehrenamt überhaupt noch mit Leben zu füllen – weil es zu wenige gibt, die wirklich für demokratische Werte einstehen und Politik aus Überzeugung machen wollen. Populisten und Extremisten, die mit einfachen Parolen Stimmung machen, haben wir leider schon genug. Natürlich ist vieles schwieriger geworden. Ich persönlich würde mir einen Rat wünschen, in dem nicht das Parteibuch, sondern der Blick auf das große Ganze und auf den einzelnen Menschen zählt – eine politische Vertretung aus der Mitte unserer Gesellschaft, die unabhängig, lokal verankert und offen für echten Austausch ist. Menschen, die bereit sind, über den Tellerrand hinauszuschauen und gemeinsam Lösungen zu finden. Aber solche Mitgestalterinnen und Mitgestalter finden wir nur, wenn wir respektvoll miteinander umgehen – und nicht, wenn es ständig nur gegen „die da oben“ geht.
So funktioniert unser demokratisches Zusammenleben nun mal nicht.
Und genau deshalb tun solche pauschalen Vorwürfe weh. Wer uns unterstellt, wir würden „über die Köpfe hinweg“ entscheiden, ignoriert nicht nur die Vielzahl an Informationskanälen, Veranstaltungen und (vor allem) öffentlichen Sitzungen – er untergräbt auch das Vertrauen in die kommunale Selbstverwaltung. Demokratie heißt nicht: Ich bekomme, was ich will. Demokratie heißt: Alle werden gehört. Interessen werden abgewogen. Entscheidungen werden transparent getroffen – und tragen müssen wir sie gemeinsam. Dafür braucht es Respekt, Sachlichkeit und Dialog – nicht Drohungen, Lagerdenken und Schwarz-Weiß-Rhetorik.
Was ich mir wünsche? Mehr Respekt. Mehr Zuhören. Mehr Bereitschaft, über den eigenen Gartenzaun hinauszudenken.
Natürlich gibt es – wie im echten Leben – immer Reibungspunkte und unterschiedliche Meinungen, das ist normal und sogar notwendig. Aber wir müssen dringend wieder zu einer gesunden Diskussionskultur auf Augenhöhe zurückfinden, in der nicht Lautstärke oder Drohungen entscheiden, sondern Argumente, Respekt und gemeinsame Verantwortung.
Denn eines steht fest: Die Elbmarsch ist unsere gemeinsame Heimat. Und wie wir mit ihr umgehen – das entscheiden wir nicht gegeneinander, sondern miteinander.
Anita Arndt
Mitglied im Samtgemeinderat Elbmarsch
